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Radio als Blickfang

Radiomacher verschenken das Potential des Netzes – dabei gäbe es so viele spannende Wege, wie sie ihre Vorzüge hier sogar noch mehr herausarbeiten könnten. Unsere Autorin ruft: Zeig dich, Radio!

Was waren das doch für Zeiten, als TV-Legende Robert Lembke noch feixen durfte: „Radio geht ins Ohr, Fernsehen ins Auge.“ Ein Spruch, den wir Hörfunker lieben. Denn wir sind stolz, dass man uns nicht sehen kann. Dass wir keine Bilder brauchen. Dass wir über alles einfach so reden, erzählen, berichten können. Denn es stimmt ja: Radio wirkt viel persönlicher, emotionaler und authentischer als Fernsehen, eben weil keine (nichtssagenden) Bilder ablenken vom Wesentlichen.

Und dennoch: Im Netz geht das, was wir machen, unter. Reines Audio wird dort kaum geklickt. Interesse weckt vor allem, was ins Auge sticht.

Kurios bleibt, dass jeder Radiomacher das weiß und doch kaum einer was dagegen tut. Dabei gibt es durchaus Ideen, wie Audios sich fürs Netz „pimpen“ lassen ohne das typische Radiophone dran zu zerstören. Das zeigen vor allem Beispiele aus Großbritannien und den USA. Und – Achtung: Paradox! – die deutschen Zeitungskollegen und Fotografen.

Idee 1: Audio-Slide-Shows (ASS)

Eigentlich ist das ja eine simple Idee: Bilder mit Ton verknüpfen. Fotos zeigen und dazu erzählen lassen. Standbilder mit Sound kombinieren. Doch was für eine Wirkung! Man muss nur eine Folge von „1 in 8 million„, der Ur-Mutter aller ASS-Serien gesehen haben, um zu wissen, dass das eigentlich was für Hörfunker ist: eine Form, die Lust aufs Zuhören macht. Die intensive Eindrücke beschert. Die durch Bilder dem Klang zur Entfaltung verhilft.

Weiß Gott nicht neu. Weiß Gott kein Geheimnis. Und längst dutzendfach (und zum Teil grandios) kopiert: Als Grimme-Preis-geadelte „berlinfolgen“ bei der „taz“. Als „Nahaufnahme Berlin“ beim „Tagesspiegel“ und als „Ich bin ein Berliner“ bei der „Morgenpost“. Die „FAZ“ hat außerdem ein eigenes Portal für ASS-Reportagen. Und als Hörfunkerin wundert man sich. Denn vieles, was man da zu hörsehen bekommt, sind im Grunde bebilderte Radiobeiträge. Nicht mal gut. Und oft 08/15 zusammen geschraubt. Das ärgert mich.

Denn warum machen Zeitungskollegen und Fotografen Sound zu Bildern, aber wir nicht Bilder zum Sound? Warum nutzen wir nicht die Chance, unsere Audios zu Hinguckern zu machen und gute O-Töne auf die Art ins Netz zu bringen? Tatsächlich hat das in Deutschland noch kein Radiosender im großen Stil probiert. Warum, bleibt rätselhaft. Denn BBC und NPR experimentieren damit aufs eindrucksvollste, machen auch bebilderte Teaser und Backseller im Netz und werben so fürs Radio.

Die BBC zeigt, wie’s geht: Bebildertes Radio-Backselling im Netz nach einem Tag mit viel Eis und Schnee. Man schaut, hört aber vor allem. Und weiß: Das kann nur Radio!

Idee 2: Animierte Interviews

Animierte Interviews kann man neuerdings bei „Blank on Blank“ bewundern, einem US-amerikanischen Non-Profit-Projekt, das alte Interviews zeichnerisch ins Bild setzt – zum Beispiel diese Aufnahme mit den Beastie Boys.

Ganz ähnlich: die animierten O-Ton-Porträts bei „Storycorps„, einem an sich schon wundervollen Radioprojekt aus den USA. „Storycorps“ hat sich nämlich den Lebensgeschichten einfacher Amerikaner verschrieben. Mit einem Aufnahme-Bus touren die Macher dafür durchs Land und lassen sich darin erzählen, was Menschen geprägt, bewegt, verändert hat. Tausende solcher Geschichten haben sie so über die Jahre schon gesammelt. Jetzt haben sie einige davon animiert – mit unglaublicher Wirkung, wie ich finde. Denn dieses Format klingt so intim und authentisch, wie eben nur Radio klingen kann. Es wirkt aber so magnetisch und zwingend attraktiv, wie nur ein Video das kann.

In Deutschland gibt’s animiertes Radio bislang selten. „RBBradioeins“ ist einer der wenigen Sender, der damit spielt. Er bebildert sehr gekonnt und absolut witzig seine Rätselreihe „Popsecret“. Sehr erfolgreich auch die animierte Fassung von „Frühstück mit Stefanie“, der (inzwischen eingestellten) Radio-Comedy auf NDR2. Die war irgendwann so kultig, dass sie ins Fernsehen sollte. Deshalb die Bebilderung.

Immerhin. Aber: Radio ist selber groß! Wir müssen und dürfen nicht aufs Fernsehen warten, um mit unseren besten Geschichten auch im Internet bemerkt zu werden. Und nur Mut: Man kann nicht nur gescriptete Reportertexte und Comedy vertonen. Die Wirkung mit O-Tönen ist, wie die amerikanischen Beispiele zeigen, noch viel eindrucksvoller.

Idee 3: Das sprechende Foto

Es gibt Fotos, denen sind die O-Töne quasi eingebaut. Als „Druckpunkte“, die auf Klick erzählte Einzelheiten zum Bild liefern. Radiokollegin Amy Costello hat auf die Art zum Beispiel eine Radioreportage über freiwillige, medizinische Helfer in Haiti ins Netz verlängert.

Zu machen ist das schnell und einfach. Dank ThingLink, einem Service, mit dem sich beliebig viele Links auf Bilder legen lassen – zu anderen Seiten, anderen Bildern, aber eben auch zu Musik, Atmo, Interview- und Reportageteilen. Ideal also, um gute O-Töne noch mal mit aussagekräftigen Standbildern zu verknüpfen und Hörern im Netz einen „Blick-Anker“ zu geben. Bislang leider von Radiomachern kaum genutzt.

Idee 4: O-Töne als Schrift-Animation

Seit ein paar Jahren beweisen viele (Hobby)Animateure auf YouTube: Wer mitlesen kann, hört besser. Jedenfalls, wenn das, was gesagt wird, auf gelungene Art in bewegte Schriftbilder umgesetzt wird. Zugegeben: Das ausgewählte Beispiel zeigt, wie schnell verspielte Animation und übermäßige Geschwindigkeit das Gesagte überlagern und damit weg führen vom Audio. Weg vom intensiven Zuhören. Dennoch: Auf YouTube hat sich längst eine Fangemeinde zusammengefunden, die ganze Filmdialoge verschriftbildicht, Gedichte textanimiert und Interviewpassagen buchstabengetreu verfilmt.

Es ist und bleibt für mich unverständlich, warum es keinen Radiosender gibt, der damit spielt. Wie wär’s zum Beispiel mit dem „Animierten O-Ton der Woche“? Die knackigsten 20 Sekunden zum Gucken? Denn für starke O-Töne oder Interviewpassagen wären Schrift-Animationen ein unbedingter Blick(und Hör)fang, der im Netz magnetisch wirkt.

Idee 5: Animierte Infografiken

Wenn’s um Zahlen und Statistik geht, war Radio leider schon immer im Nachteil. Denn nichts ist schwieriger in Worte zu fassen als Anteile, Prozente, Verhältnisse. Und immer schon beneiden wir die Fernsehkollegen, die Balken wachsen lassen und Kuchenstücken ausschneiden, wenn sie Umfrageergebnisse verständlich machen wollen.

Doch machen wir uns mal nix vor: Richtig gut, wird eine Infografik erst, wenn sie den richtigen Erzähler hat. Und mal ehrlich: Da haben wir Radiomacher den Zeitungs- und Fernsehkollegen doch was voraus! Also: Warum das Fernsehen beneiden, wenn wir das Internet haben? Wir Radiomacher können auch was zeigen. Sowas zum Beispiel.

Eine animierte Infografik, die noch viel intensiver wirkt als jedes Kuchenstück im Fernsehen, weil sie gutes, radiophonesradiophones Erzählen und Erklären mit ausdrucksstarken Grafiken verbindet. Ich weiß: Das ist Meisterklasse. Und dennoch: Ein Radiosender, der sich jeden Monat eine auch nur annähernd ähnlich erzählend-erklärende Infografik leistet, könnte damit im Netz Akzente setzen. Eine Marke werden. Sich einen Namen machen. Stattdessen überlassen wir auch dieses Feld den Zeitungskollegen.

Schade. Mehr als schade. Denn stimmlich, klanglich, soundgestalterisch hätten wir Radiomacher dem Internet wirklich was zu bieten. Wir müssten unsere Stärken nur endlich multimedial weiter entwickeln, um die Besonderheiten des Hörfunks quasi sichtbar zu machen. Andernfalls gilt fürs Internet vermutlich bald ein anderer Lembke: „Fernsehen und Zeitung gehen ins Auge, Radio unter.“

Also: Zeig dich, Radio!

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